LOST BOYZ ARMY STUDIO TAGEBUCH TEIL 2

01.10.09

Der nächste Termin ist ne ganze Ecke später, bei Sven gibt’s scheinbar keine Wirtschaftskrise. Getönt wird immer, der Kalender ist voll, das Auftragsbuch auch. So ist es schon Oktober, als ich das nächste Mal mit Rene im Studio anreise. Wir sind nur zu zweit und werden das auch den ganzen Tag über bleiben, in der Woche ist es für die Kollegen nicht so leicht mit dem ausklinken aus den Jobs.
Wir gehen locker an den Start und ich sing um „drauf zu kommen“ erstmal n paar Sachen bei denen ich mir relativ sicher bin. Svens Vorschläge fürs „warm machen“, gymnastische Lockerungsübungen und einzelne Töne tröten ist mir zu albern und 0% Punkrock. Es muss so gehen. Es ging immer so. Ich bin nicht Karel Gott und das hier schließlich nicht für die Hitparade gedacht. Das schlimmste beim einsingen ist eigentlich nur der ungeheure Unterschied zum Proberaumsound. Jeder Missklang der bisher im Getöse der Kollegen versteckt wurde, ist jetzt zu hören. Bin jedes Mal erschrocken, aber daran hast du dich schnell gewöhnt. Man darf einfach nicht dran denken, dass die nebenan vielleicht gerade alle Musik runtergedreht haben und dein Gebrüll völlig nackig hören… Wenn du das alles abgelegt hast, kanns losgehen.
Wir kommen ganz gut voran und ich traue mich relativ frühzeitig an die ruhigen Songs, die erfahrungsgemäß leider nicht so mein Teil und damit auch die bei mir selber unbeliebtesten sind, zumindest, was das einsingen angeht. Deshalb will ich die schnell weghaben und natürlich solange das stimmlich noch geht. Es ist superschwer die Stimmung richtig zu treffen und ich nehm mir wieder mal vor, so was nie wieder zu machen. So gerne ich die Songs später auch höre, oder vielleicht gerade deshalb? Aber auch da geht’s eigentlich. Ich bin zum Teil überrascht wie locker die Sachen mit Svens Hilfe zusammenkommen, in der Regel ist der dritte Take der richtige, manchmal geht’s sogar schneller. Er hat eine wirklich einfühlsame Art dich auf die Songs einzustimmen und dir emotional das Optimum abzuverlangen. Sein gut gemeintes Angebot zu tunen lehnen wir allerdings ab. Auch wenn das viele Kollegen machen, sogar in Punkrockerkreisen wie man hört – ich mag die elektronisch gestylten und durchgebügelten Gesänge nicht und bin nach wie vor der Meinung, dass es auch schon mal rauh oder dünn sein darf, solange Emotion transportiert wird. Das ist das A und O. Authentizität ist wichtiger als Effekthascherei. Solln die andern machen.
Mittags gibt’s Pizza, die Stimme ist schon ganz schön am Arsch. Ich hatte mir vorgenommen alle der 15 noch offenen Songs fertig zu kriegen, oder wenigstens so viele wie möglich und ahne, dass das wohl heute nix mehr wird. Aber machen kann man leider nichts und obwohl die Pausen immer länger werden, erholt sich die Stimme am Ende nicht mehr wirklich und ich hätte auf jeden Fall weniger rauchen sollen… Wir machen ne Menge drumherum Kram und auch Rene kommt mal ans Mikro, aber das rettet alles nix. Zum Schluss n paar brüllige Sachen noch und Feierabend, mehr war nicht drin. Der Tag war unspektakulär aber anstrengend, am Ende haben wir dennoch einiges geschafft. 5 Lieder sind offen geblieben. Die plus Chöre, das müsste beim nächsten Mal drin sein. Wir fahren erst weit nach 21 Uhr mit dem Gefühl nach Hause, zwar nicht alles, aber doch viel geschafft zu haben.

24.10.09

Bis zum nächsten Mal zieht es sich dann doch wieder fast n Monat hin. Wir brennen förmlich darauf, die Sachen endlich über die Bühne zu kriegen. Langsam beginnt sich die Geschichte wie Kaugummi zu ziehen. An diesem Samstag Morgen sind außer uns 5 auch noch Stephi und Jeany dabei und wir erwarten Mittags meinen alten Kollegen Bernd, den Meister der ohohos, der einen Song mitsingen wird und uns im Chor unterstützen soll.
Es geht wieder locker los, die Songs sind relativ sicher drin. „Du“, das wir beim letzten Mal schon fertig hatten, mache ich zur Hälfte noch mal neu. Es war mir zu derbe gesungen. Als Bernd kommt, sind wir im Grunde auch fast soweit, dass wir mit ihm starten können. Direkt nach der Mittagspause (diesmal McDonalds), geht’s los. Anfangs n bisschen holprig, aber erst mal angelaufen geraten die Dinge in Fluss. Bernd ist n alter Hase. Hat zwar schon ne ganze Weile nix mehr gemacht, aber gelernt ist gelernt. Wir singen gemeinsam „Aloha heja he“ von Achim Reichel, eine erstklassige Coverversion des Schützenzeltstürmers mit nem herrlichen original Huster von Bernd am Anfang, der da so gut hinpasst, dass er einfach drinbleiben musste.
Im Anschluss geht’s direkt an die Chöre, der Zeitrahmen wird nun doch ganz schön eng. Die Liste scheint unendlich lang. Hier noch was und da, ich befürchte wir werden es heute nicht mehr schaffen. Sven ist hoch konzentriert und arbeitet mit stoischer Ruhe. Ich bin immer wieder fasziniert, wie Studioleute das machen. Rundherum Chaos, Stimmengewirr und pipapo… Irgendwo fehlt immer was – hör doch mal da und guck mal hier und Sven mittendrin mit Nerven aus Stahl sieht aus als ob es ihn alles nichts angeht. Kein Cowboy könnte cooler gucken. Er ballert Take für Take in den PC: “den bitte noch mal, das war nicht gut“ und „ja, so ungefähr mit etwas mehr Dampf bitte“ – „der war noch nichts, aber ich weiß du kannst es – noch mal bitte“ als wäre es das normalste der Welt.
Wir kriegen tatsächlich alles fertig, auch wenn’s zum Ende wirklich hektisch wird und ich stellenweise echt kein richtig gutes Gefühl dabei habe. Aber es ist nach 22°° Uhr, als wir gehen und um diese Uhrzeit werden keine Fragen mehr gestellt und viel mehr gehofft, dass der Studiomann als Profi die besseren Ohren hat.

13.12.09

Hat Sven uns vergessen? Wir stehn eine knappe Woche vorm letzten Termin und haben außer den „alten Aufnahmen“ noch nichts vom Studio gehört! Alle Gesänge vom letzten Mal und sämtliche Chöre – keiner von uns hat ne Ahnung, ob das am Ende alles ok war. Wer weiß was wir in der Hektik der letzten Aufnahmen alles vergessen haben!? Sven wollte die Aufnahmen längst schicken.
Eine Woche vor dem 13ten schreib ich ihm ne Mail. Jo. Er hat uns tatsächlich vergessen. So können wir die kompletten Aufnahmen erst 2 Tage vorm letzten Studiobesuch Probe hören. Ich bin ein bisschen angepisst, aber was soll man sagen? Er lebt nicht nur von der Lost Boyz Army und hat scheinbar richtig was um die Ohren. Dann ist kurzfristig noch ein Kollege ausgefallen… wie das eben so ist… Auch bei uns und den letzten Aufnahmetagen hat er nie so genau auf die Uhr gesehn und inzwischen schon vorgearbeitet und alles grob gemischt, wir gehen also doch nicht gänzlich unvorbereitet ans Werk. Was solls also.
Trotzdem begleiten uns gemischte Gefühle auf dem Weg zum letzten Termin, passieren kann heute alles. Aber die Zweifel sind am Ende unbegründet. Es muss zwar an nahezu jedem Lied noch geschraubt werden und ging auch nicht ohne knallharte Kompromisse (Scheiß Demokratie), aber ich denke zum Schluss sind alle ohne Bauchschmerzen wirklich zufrieden mit dem Mix. Sven hat ganze Arbeit geleistet und wieder einmal bewiesen, dass er einfach einer der Besten ist. Ich habe nichts anderes erwartet.
Die Songs klingen auf jeder Anlage fett und bissig, egal ob laut oder leise, über Kopfhörer genauso geil wie über die 22 Jahre alten originalen VW Boxen meines Golf 2 ! Sven ist ein echter Könner und hat alles gegeben – der Mix ist der krönende Abschluss von 1½ Jahren Proberaumschweiß und macht jeden einzelnen von uns auf seine Weise glücklich. Wir sind gespannt was die Sachen nun noch beim mastern gewinnen werden. Ist das überhaupt möglich?
Das Master wird uns wieder Sebastian Haitz zaubern, die Kompetenz in Person, mit dem ich schon einige Male arbeiten konnte. Er macht so was heute an und für sich nicht mehr und nur für uns ne Ausnahme, worüber ich wirklich sehr froh bin.
Parallel zu den letzten Studiotagen arbeitet inzwischen auch schon Torsten aus Dorsten, der Moloko Plus Chef himself, an der Grafik fürs CD Cover und dem Layout für die Picture LP, damit die Sachen auch fürs Auge mithalten können. :„Die Scheibe, gefällt mir bei jedem Durchlauf besser. Außerordentlich gutes Album, wirklich! Und ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass ich vielleicht ein bisschen befangen sein könnte.“ schreibt er mir. Ja, ich glaube wir haben im Vorfeld wirklich nicht zu viel versprochen.
Leider gibt’s aber auch hier einen Wermutstropfen, denn mit dem Abschließen der Aufnahmen verlässt unser Seppl die Band. Es kommt nicht überraschend, er hatte so was schon vor dem Studio angekündigt, die letzten Tage waren eine Art Bedenkzeit, nun steht der Entschluss. Seppl war als einer der Gründer vom ersten Tag der Band an dabei und hat ganz bestimmt den größten Teil der Songs zusammengetragen. Wir verdanken ihm eine Menge. Ohne ihn wären es nicht die gleichen Lieder, die L.B.Army und diese Platte überhaupt gar nicht denkbar. Sein Ausscheiden ist ein herber Verlust für die Band, den wir nicht so leicht wegstecken werden. Aber wir gehen freundschaftlich auseinander, die erste LP/CD der Army ist n guter Zeitpunkt für so was, der erste echte Höhepunkt wenn man so will. Trotzdem ist und bleibt es schade. Wir werden sehr viel arbeiten müssen, um diesen Verlust zu verpacken.
Vorerst geht es also zu viert weiter, bis wir einen passenden Ersatz gefunden haben.
Und jetzt möchte ich diese super Gelegenheit natürlich auch nutzen:
Solltest du hier gerade lesen, in der Region Ruhrgebiet / Niederrhein wohnen, dein Instrument solide beherrschen und vielleicht sogar schon Banderfahrung besitzen – dann melde dich bei uns, wenn du Bock hast mit zu machen.

Zoni für die L.B.Army, Dezember 2009