KALTFRONT Interview (15.01.2012)

KALTFRONT, die Dresdener Punkinstitution, tourt seit 2005 wieder durch die Clubs des Landes. Das war längst fällig, aber zu jeder guten Reunion gehört, aus meiner Sicht, auch eine richtig gute neue Platte. Und ja, von einer neuen LP wurde schon vor einiger Zeit gesprochen, aber dann hörte man lange Zeit gar nichts mehr … Ich hatte schon die Hoffnung ad acta gelegt. Doch dann im Dezember wurde die Releaseparty zur Platte angekündigt. Das Konzert in der „Scheune“ war erstklassig. Und auch das Album „Zwischen allen Fronten“ lässt keine Wünsche offen und bietet richtig guten hitlastigen PunkRock. Keinen überflüssigen Schnellschuss, den sich Alt-Punkbands regelmäßig im Reunionüberschwang leisten. Ich befragte Bassist Jörg zur neuen Platte und erhielt erfrischend ehrliche Antworten … aber lest selbst:

Hallo Jörg, erst mal Glückwunsch zur wirklich gelungenen neuen Platte. Aber jetzt mal raus mit der Sprache, in den 80ern habt ihr von 1987- 1990 vier Tapes veröffentlicht. Das ging damals ruckzuck. Für die neue Platte habt ihr seid der Reunion sechs Jahre gebraucht. Bisschen lange oder? Die Platte war immer mal wieder angekündigt worden. Wieso hat es letztlich so lange gedauert?

Vielen Dank. Der Unterschied war, dass wir damals alles im Proberaum zusammen gespielt und direkt aufgenommen haben. Nicht mal der Gesang oder Gitarren-Overdubs wurden nachträglich hinzugefügt. Wenn wir uns verspielt haben, wurde der Song eben noch mal gespielt. Wir waren meist an einem Tag fertig und am nächsten Tag konnte man es schon auf Tape veröffentlichen. Die Aufnahmequalität war aber dementsprechend und musikalisch war auch vieles nur so hingeschludert. Die neue Platte haben wir natürlich in einem richtigen Studio aufgenommen und viel mehr Zeit und Mühe investiert (und viel Kohle natürlich!). Man arbeitet viel länger an den Aufnahmen und das Mischen dauert dann auch seine Zeit. Man kann nicht 15 Lieder an einem Tag mischen. Irgendwann hat man kein Gehör mehr. Dazu kam, dass wir zwischen den einzelnen Aufnahme-Sessions oft monatelang gar nichts dran gemacht haben. Jeder von uns hat noch viele andere zeitintensive Verpflichtungen, da ist es oft schwer auf einen Nenner zu kommen.

Wie waren die ersten Reaktionen nach der Releaseparty, also bezüglich der Platte?

Die CD ist ja erst vor kurzem erschienen. Bis jetzt habe ich noch nicht viele Rückmeldungen. Nach der Releaseparty gab es sehr viel Lob. Auch von Leuten, die immer sehr kritisch sind. Damit hätte ich nicht gerechnet. Aber vielleicht war beim Publikum die Erwartungshaltung nicht sehr hoch.

Na, Na nicht gleich so pessimistisch …
Meine Überhits sind „Geisterstadt“, „Kaltfront“ und „Wie ein Fremder“? Was sind deine „Hits“? Gibt es Publikumsfavoriten?

Ich bin da gar nicht aussagefähig. Frag mich mal in einem Jahr. Die letzten Monate musste ich die ganzen Songs so oft anhören, analysieren und bearbeiten, dass sie mir zum Hals raushängen! Es fallen mir immer noch Dinge auf, die man hätte besser machen können. Die ersten Songs haben wir Anfang 2008 aufgenommen. Inzwischen würde ich einige ganz anders spielen. Aber jetzt ist es abgeschlossen. Jetzt geht nichts mehr. Ich bin froh und lass es erst mal sacken. Die Reaktionen des Publikums auf einzelne Songs kann ich nicht einschätzen. Mich erstaunt nur immer wieder, was sich die Leute live so an alten Songs wünschen. Da sind welche dabei, wo es mir kalt den Rücken runter läuft und ich mir wünschte, wir hätten sie nie gespielt, geschweige denn aufgenommen.

Naja, aber es sind sicher auch Songs, die Euch bekannt gemacht haben. Vor allem solche Gassenhauer wie „Rudi“ oder „Scheißegal“ sind für viele Leute Klassiker. Gerade bei „Rudi“ feiern die Leute immer total ab. Selbst punk-unkundige Menschen finden das Lied super.

Das behauptest du jetzt. Gegen die genannten Songs habe ich persönlich auch nichts. Aber Musikgeschmack ist subjektiv. Andere Leute wünschen sich noch ganz andere alte Songs. Manche sogar den Original-80er-Jahre-Probenraum-Sound. Und wieder andere haben von dem alten Kram die Nase voll und wollen nur neue Songs hören. Wir können es nicht allen recht machen. Deshalb machen wir was uns Spaß macht. Ein Teil des Publikums wird sowieso immer was zu meckern haben.

Wer ist denn überhaupt noch von der alten Besetzung dabei?

Blitz (Gitarre) und ich (Bass) sind Gründungsmitglieder und Tom (Gesang) gehörte von 1987-88 zur alten Besetzung. Unser Schlagzeuger Micha ist seit unserer Reunion 2005 dabei. Live unterstützt uns manchmal als zweiter Gitarrist Malo, der fast zwanzig Jahre jünger ist als ich.

Ich kann mich an ein KALTFRONT-Konzert mit Rummelsnuff als Gastsänger erinnern? Der dicke Käptn hat ja schon auf Eurem Reunionkonzert gespielt. Kann man da eine weitere Zusammenarbeit erwarten?

Das soll ja nicht zur Gewohnheit werden. Vielleicht machen wir mal was im Studio zusammen. Aber live lassen wir uns lieber was Neues einfallen, wenn es wieder mal die Gelegenheit gibt, einen Spezialgast zu präsentieren.

Was mir besonders gut an der Platte gefällt, ist dass der Bezug zu den „alten“ KALTFRONT musikalisch durchaus vorhanden ist. Trotzdem wirkt sie vom Gesamteindruck zeitgemäß. Irgendwie im „Hier und Jetzt“ verankert? War das für Euch wichtig? Ich meine, diese ganze Nostalgiekiste kommt ja auch, gerade beim Ostpunk, gut an.

Es liegt wahrscheinlich daran, dass unser Songwriting und die Art der Texte immer noch ähnlich wie früher sind, aber handwerkliche Fähigkeiten, Instrumente und Technik viel besser geworden sind. Den Ostpunk-Bezug können wir nicht verleugnen. Über dieses Etikett haben uns viele überhaupt erst wahrgenommen. Aber für uns ist es wichtig, dass wir uns davon emanzipieren. Wir wollen keinesfalls in so einem Ostpunk-Revival-Ding stecken bleiben. Das ist doch nichts anderes als dieses unsägliche Ost-ROCK-Revival mit Bands wie Puhdys, City und was weiß ich, wer da noch aus der Gruft geholt wird. Nein, es war nicht alles gut in der DDR…

„Zwischen den Fronten“ ist ein guter Albumtitel. Passt auch irgendwie zu eurer Bandgeschichte? Ihr ward/seid weder plakativer Deutsch-Punk aber auch kein introvertierter EA80 Schlaupunk. Irgendwie anders…. Für mich angenehm anders.

Zu dumm für Schlaupunk, aber zu schlau für Dummpunk! Guter Slogan. Aber es geht weniger darum, was für eine Art PUNK wir sind, sondern eher darum, ob wir überhaupt PUNK sind. Exemplarisch war unser Erlebnis beim Force Attack 2010. Einige hatten uns im Vorfeld schon gewarnt und gefragt, ob wir ernsthaft dort spielen wollen. Diese Bedenken haben sich leider bestätigt. Es sollen wohl 8000 Besucher dort gewesen sein, unser Auftritt hat vielleicht fünfzig interessiert (die dann allerdings auch jeden Text mitsingen konnten). Als nach uns die nächste beliebige Oi-Punk-Band gespielt hat, war vor der Bühne wieder alles voll. Ich habe mich dort von Anfang an völlig fehl am Platz gefühlt. Und wenn uns DIESES Publikum genauso gefeiert hätte, wie die anderen Bands, ich glaube ich hätte aufgehört zu spielen und wäre sofort aus der Band ausgestiegen. Wenn man in keine Schublade so richtig reinpasst, wird man von dem ganzen Szene-Volk ignoriert. Die blicken nicht über ihren Tellerrand. Aber damit kann ich gut leben.

Ich höre aus deinen Worten so eine gewisse Distanz zur aktuellen PUNK-Szene raus. Was ist dein momentaner Eindruck? Mir kommt es momentan so vor, als würde alles in kleine Einzelszenen zersplittern.

„Distanz“ ist noch untertrieben. Mich interessiert das nicht. Szene, egal welche, bedeutet musikalische, modische und ideologische Diktatur. Viele, die sich damit nicht voll identifizieren können, zimmern sich ihre persönliche Splitterszene zusammen. Das ist ja grundsätzlich in Ordnung. Aber warum muss man sich so wichtig nehmen und dem auch noch bedeutungsschwangere Namen geben? Der Begriff PUNK dient für mich nur als stilistische Orientierung. Bei dem Wort denke ich immer noch an das, was damals darunter verstanden wurde, als wir angefangen haben PUNK zu machen. Wahrscheinlich ist das nicht mehr aktuell.

Auch auf der neuen Platte reiten wieder `ne Menge Cowboys in den Sonnenuntergang. Woher kommt der Reiz an dieser Westernromantik?

Westernromantik ist es auf keinen Fall. Dann würden wir wertkonservativen Country spielen und Cowboyhüte tragen. Uns fasziniert eher die brutale Trostlosigkeit der Italo-Western, wo alle romantischen Wildwest-Klischees ad absurdum geführt werden.

Soweit ich das mitbekommen habe, tretet ihr meist nur im Großraum Sachsen auf. Gab es auch mal Anfragen von weiter weg oder seid ihr ein rein Ostdeutsches Phänomen? Kann man im Rahmen der Albumveröffentlichung ein paar mehr Konzerte erwarten?

Der größte Teil unseres Publikums lebt im Osten. Manchmal kommen auch Anfragen aus dem Westen, oft von Exil-Ossis, aber der Aufwand und das Risiko sind uns zu groß. Es ist schon ein Unterschied, ob man 150 km fährt oder 500 km. So richtig heiß sind wir nicht darauf, uns die Wochenenden auf den Autobahnen um die Ohren zu schlagen. Aber klar, ab und an müssen wir mal auftreten. Es wird überwiegend im Osten sein. Aber nicht all zu oft. Wir haben anderweitig viel zu tun und wollen auch niemanden auf die Nerven gehen.

Ich danke fürs Interview
Stephan

www.kaltfront-dresden.de
www.eastsiderecords.de