Wenn mir jemand vor zehn oder fünfzehn Jahren erzählt hätte, dass ich die BOYS mal in London in einem kleinen Club sehen werde und dass halb Norwegen sowie ein paar verrückte aus Deutschland auch anwesend sein würden, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Noch utopischer war es für meinen Mitreisenden, der in der Zone aufgewachsen, sich so etwas nie zu träumen gewagt hätte. Aber alles der Reihe nach…
Als vor einigen Monaten der Gig der BOYS am 4. Februar 2012 in London im New Cross Inn feststand, wurden wir schon hellhörig. Als dann noch HARD LUCK STREET als Support bestätigten, gab es kein Halten mehr und flux wurde das Internet nach günstigen Flügen durchsucht. Nachdem wir fündig wurden hieß es noch eine bezahlbare Unterkunft zu finden, was mit dem New Cross Inn Hostel, direkt über dem Club, auch auf Anhieb gelang. Also stand unserem Kurztrip in die britische Hauptstadt nichts mehr im Weg. Die Vorfreude stieg mit dem Jahreswechsel und dem immer näher rückenden Termin ins Unermessliche. An diesem arschkalten (-16 °C) Samstagmorgen machten wir uns dann auf den Weg nach Berlin zum Flughafen, um ins nicht ganze so unterkühlte London zu fliegen. Dort angekommen ging es mit dem Bus in die City, um den ersten Abschnitt der Reise – das Hardcore-Sightseeing – zu absolvieren. Den Anfang machte der Buckingham Palace, doch die Queen muss meine E-Mail überlesen haben, sodass wir dieses Bauwerk lediglich von außen betrachten durften, nicht aber zum Tee eingeladen waren – was soll’s, Schwamm drüber.
Durch einen Park, mit merkwürdigen zutraulichen grauen Eichhörnchen, bahnten wir uns unseren Weg zum Big Ben, dem House of Parliament, vorbei am Londen Eye, hin zur Tower Bridge. Davon abgesehen, dass London eine – auch im Vergleich zu Berlin – sehr dreckige Stadt ist, hatten wir einen mehr als lohnenswerten Nachmittag. Die kurze Verschnaufpause in einem Café hatten wir uns somit redlich verdient. Dann folgte die erste große Herausforderung: die öffentlichen Verkehrsmittel! Erste Hürde war schon mal das Auffinden einer U- oder S-Bahnstation. Als das geschafft war, kauften wir uns Tickets und wurden zu einem Servicemitarbeiter geschickt, der uns weiterhelfen sollte. Dieser nette Herr schickte und dann auf den Bahnsteig 9. Dort angekommen, fuhren aber keine Züge, woraufhin uns ein weiterer Mitarbeiter wieder aus der Station hinaus zur Bushaltestelle schickte, um den Ersatzverkehr zu nutzen. Dieser fuhr dann auch tatsächlich zur New Cross Inn Station, wo wir völlig erschöpft gegen 18:00 Uhr eintrafen.
Schnell die Sachen ins Hostel geschafft und ab in den Club. Dort wartete schon Strange? Gentle (Ex-Trashcan Darlings), der Sänger von HARD LUCK STREET auf uns. Die Begrüßung war herzlich und die ersten Biere flossen während des Soundchecks der BOYS. Mit einem umherstreifenden Blick entdeckte man auf Anhieb eine Horde Norweger, in dessen Mitte sich die Bandmitglieder von HLS und kein geringerer als Ronny Pøbel tummelten. Wer Ronny Pøbel bisher noch nicht kennt, sollte dies schleunigst nachholen, denn dieser Typ ist eine wahre Bombe. Er strotzt nur so vor Energie und ein Konzert von ihm muss einem wie eine Urgewalt vorkommen. Mal schauen, wann es dieser „Freak“ nach Deutschland schafft und hiesige Clubs in Schutt und Asche legt. Neben ein paar Vertrauten Gesichtern aus dem hohen Norden, wurde uns noch ein BOYS-Fan aus Leipzig vorgestellt und wir trafen einen alten Bekannten aus Darlings-Tour-Tagen. Im Gespräch erfuhren wir, dass er jetzt in London lebt und seine Zelte in Hagen in Deutschland abgebrochen hat. So klein ist halt die Welt! Gegen 20:00 Uhr legten dann THE PAPERJETS los und unterhielten den sich langsam füllenden Club mit Punkrock der Marke Green Day. Anschließend spielten THE GRISWALDS ihren rauen 77er-Punk, der seeehr stark nach den Ramones klang. Obwohl die zweite Band schon etwas besser war, konnten beide nicht wirklich überzeugen. Die folgenden HARD LUCK STREET machten ihre Sache dafür aber mehr als spitze.
Es war so schön, nach alle den Jahren der Abstinenz, endlich wieder die Stimme von Strange? Gentle zu hören. Auch wenn die Mucke nicht viel mit den der Trashcan Darlings gemein hat, konnten die fünf Osloer mich von der ersten bis zur letzten Sekunde mitreißen. Der mitgereiste norwegische Fanblock tat noch sein Übriges zur Stimmung und so wurden HLS zu Recht ordentlich abgefeiert. Und dann war es endlich soweit, mein erstes BOYS Konzert. Ich hatte ein paar der Jungs schon als Mattless Boys und als Last Rock’n’Roll Band gesehen, doch noch nie als BOYS. Es war ein grandioses Konzert, die Stimmung kochte, die Songs waren erste Sahne und der Club war voll. In einem kurzen Moment der Besinnlichkeit stand ich am Rand der Bühne und sah am tobenden Publikum und der Band vorbei in die kalte verschneite Londoner Nacht. Um es mit den Worten von Dritte Wahl zu sagen: „Das sind die Moment, wo ich, wenn ich es könnte, mir wünschen würde, dass sie nie vergehn!“ Die BOYS machten an diesem Abend alles richtig, die spielten ihre Hits, hatten sichtlich Spass auf der Bühne und zogen so alle Anwesenden in ihren Bann. Nach einem Absackerbierchen ging es dann hinauf ins Hostel und K.O., aber überglücklich, holten wir uns unseren verdienten Schlaf.
Der Sonntagmorgen begann mit einem schrecklichen Frühstück und dem bekannten Chaos mit den Öffentlichen – Züge die nicht fuhren, Busstationen die geschlossen waren etc. Das hinderte uns jedoch nicht daran, das am Vortag begonnene Kulturprogramm fortzusetzen. Der Besuch im Tate Modern entpuppte sich als wahre Fundgrube. Neben Gemälden von Roy Lichtenstein, Pablo Picasso und Andy Warhol konnten wir eine Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei bewundern. Damit wir aber keinen kulturellen Schock bekommen hieß es die verbleibende Zeit bis zum Rückflug mit dem Stöbern nach Platten zu verbringen, was sich auch mehr als lohnte. Auf dem Weg zu einem Record Store fanden wir dann noch einen Handtaschenladen mit dem schönen Namen „Oi!“, was uns in erhebliche Heiterkeit versetzte. Dank des Kältechaos verspätete sich unser Flieger am Abend etwas und gegen 22:00 Uhr kamen wir wieder im viel zu kalten Deutschland an, mit der Gewissheit, London sieht uns wieder.
East Side Daniel